Wenn man die Überschrift liest, würde man eigentlich denken, alles im Griff. Unsere Kinder lesen.
Weit gefehlt
Als die Ergebnisse der PISA-Studie bekannt wurden, war das Geschrei groß. Warum? Weil wir den Kopf in den Sand gesteckt haben.
Der Schuldige war auch sofort gefunden. CORONA. Natürlich. Aber machen wir es uns da nicht etwas zu leicht? Klar, ich gebe zu, es war eine schwierige Zeit für die Kinder. Der Unterricht hat sehr gelitten. Kein Präsenzunterricht, sondern zu Hause am PC oder mit Hilfe von Aufgaben, die gemacht werden sollten.
Das Geschrei der Eltern war groß. Wie soll ich das machen? Keine Zeit. Keine Lust. Keine Ahnung. Ich bin hier nicht der Lehrer.
Bevor mich hier einige steinigen. Ja, ich weiß, wie anstrengend Schule ist. Ich habe selbst 3 Kinder und ich bin, wem auch immer, sehr dankbar, dass sie zu Coronazeiten schon nicht mehr in der Schule waren, sondern im Studium.
ABER! Ja, wie immer gibt es ein aber. Ich habe dazu eine persönliche Meinung, die nicht von jedem geteilt wird. Das ist auch gut so. Es gibt schließlich die vielgepriesene Meinungsfreiheit.
Jetzt haben die Eltern zum ersten Mal gemerkt, wie anstrengend die Schule ist. Für die Kinder und auch für die Lehrer
Ich nehme da nicht alle Eltern in Geiselhaft, aber die meisten.
Wir Eltern sollten unsere Kinder doch am besten kennen. Sie sind keine Engel. Kein Kind ist das. Jedes Kind ist anders und sollte, meiner Meinung nach, auch anders unterrichtet werden. Leider funktioniert das nicht.
Die Schuld auf Corona, die Lehrer oder die Eltern zu schieben – das funktioniert nicht und bietet keine Lösung.
Unsere Kinder hängen viel zu oft und viel zu lange an Handy/Tablet/PC. Warum waren sie dann aber plötzlich nicht in der Lage, dieses Medium für den Unterricht zu nutzen? Lag es an den Kindern selbst, an den Eltern oder an den Lehrern? Darüber sollten wir mal länger nachdenken, darum gehe ich auch nicht näher darauf ein.
Lesen
Die Überschrift dieses Beitrages könnte auch lauten: Aus dem Leben eines Buchhändlers.
Lesen beginnt schon, wenn das Kind noch gar nicht lesen kann. VORLESEN ist das Zauberwort. Wer liest seinen Kindern vor? Da ich hier in einer Bücherbubbel bin, gehen an dieser Stelle – hoffentlich – viele Finger nach oben.
Aber auf die Masse gerechnet, sind das wirklich nicht viele. Meiner Meinung nach zieht sich das Problem des „Nicht-Lesens“ durch alle Generationen.
Wenn die Eltern nicht lesen, lesen auch die Kinder selten. Sie sehen es ja nicht. Stichwort: Vorbild.
Seit einigen Jahren arbeite ich in einem Buchladen und bin dort die Kinderbuchfee. Ich habe also noch einen etwas anderen Blick auf die Leser oder Nichtleser.
Meine Erfahrung kann ich – ziemlich böse – ganz einfach zusammenfassen.
Unsere Kinder sind alle Genies. Sie sind schon soooo weit. Und mit Eintritt in die Schule werden sie plötzlich doof.
Also, versteht mich nicht falsch. Das ist nicht meine Meinung aber so kommt es mir langsam vor.
Es gibt wirklich Eltern, die lesen ihren 3jährigen Harry Potter vor. Natürlich aus den illustrierten Ausgaben, damit das Kind die Bilder sieht. Dass sie die Geschichte noch gar nicht verstehen, wird nicht gelten gelassen. Das Kind ist schon sooo weit und hört immer ganz interessiert zu. Ja. Natürlich hört es zu, es wird ihm vorgelesen und es bekommt Aufmerksamkeit. Aber die Geschichte selbst versteht es trotzdem noch nicht. Und auch das gehört zur Lesekompetenz dazu. Das Verstehen von Texten.
Wisst ihr, welche Aussagen ich auf Arbeit am meisten höre?
Da sind ja keine Bilder drin. Das Buch ist viel zu schwer. Die Schrift ist viel zu klein. Das Thema interessiert mein Kind nicht. Sowas kriegt mein Kind nicht.
Und der aller schlimmste Satz, der in meiner Kinderbuchabteilung viel:
Du hast doch schon ein Buch
Wenn dann noch Aussage kommen wie „Tod – nein darüber muss mein Kind nichts lesen“, „Liebe – mein Kind kommt aus einem ordentlichen Haushalt“, „Scheidung – nein es lebt in einer guten Familie“, „Bitte nicht so ausgedachtes/erfundenes Zeug“, habe ich manchmal das dringende Bedürfnis laut zu schreien und die Eltern/Großeltern zu schütteln.
Das Ende vom Lied: 14jährige bekommen zu Weihnachten Pferdebücher für 8jährige und die 3jährigen werden mit Sachbüchern beschenkt, anstatt ihnen ein Bilderbuch zu schenken, dass sie selbst erkunden können.
Das Problem hier – Bücher werden meistens von Eltern und Großeltern gekauft
Und die haben eine ganz andere Sicht auf die Dinge.
Wenn ich Kinder in meiner Abteilung beobachte, läuft das meistens so ab, dass alle Bücher angesehen werden. Wenn ihnen das Cover gefällt, nehmen sie es in die Hand und schlagen es auf. Ganz selten wird sofort der Klappentext gelesen. Kinder schauen zuerst ins Buch. Sie schauen weiter und man sieht ihnen die Freude an, hier zu sein.
Das wären die lesenden Kinder.
NICHTleser sind da ganz anders. Sie stehen miesepetrich herum. Die Lustlosigkeit und die Unlust hier zu sein ist ihnen anzusehen. Der begleitende Erwachsende zeigt ihnen Bücher mit Worten wie „Das ist doch ganz dünn“, „Guck mal, da ist ein Pferd drauf, du magst doch Pferde“, „Jetzt entscheide dich endlich, ich habe noch anderes zu tun“.
Und die Erwachsenen, die alleine kommen? Ich weiß nicht ob und was das Kind liest, möchte ihm aber ein Buch schenken. Was vernünftiges – sprich das Lexikon für Grundschüler liegt beim 5jährigen unterm Weihnachtsbaum. Haben sie kein richtiges Buch – anscheinend habe ich den Moment verpasst, seit dem ein Taschenbuch kein richtiges Buch mehr ist.
Was läuft hier bitte falsch?
Nicht jedes Kind muss ein Bücherwurm sein. Aber diese Unlust und dieser Widerwillen gegen Bücher muss, meiner Meinung nach, doch einen Grund haben. Ich stöhne schon innerlich auf, wenn ich das Wort „Buchvorstellung“ höre. Die eine Sorte Kinder steht freudestrahlend vor dem Regal und möchte am liebsten alles mitnehmen. Die andere – siehe oben.
So, und wo setzten wir jetzt an, um das Problem zu lösen? Bei den Kindern, den Lehrern, den Eltern?
Bisher habe ich keine Lösung gefunden. Ich versuche immer herauszufinden, welche Interessen das jeweilige Kind hat. Mit einem Thema, dass es interessiert, ist schon einiges gewonnen. Wenn sich dann noch zeigt, dass das Kind Probleme mit dem Lesen hat, gibt es auch hier spezielle Bücher, die es ihm erleichtern.
Es freut mich persönlich dann immer, wenn ich eine Rückmeldung bekomme, dass das Buch gelesen wurde und es vielleicht sogar eine gute Note gab. Mein Highlight ist dann immer, wenn das völlig widerwillige Kind zurückkommt und ein neues Buch möchte. Ja, geschafft…
Die Eltern möchte ich oft gerne rausschicken und die Büchersuche nur mit dem Kind selbst machen. Das gibt zu 90 % ein gutes Ende. Dann geht nicht nur das Kind, sondern auch ich mit einem guten Gefühl nach Hause.
Und sind wir mal ehrlich, egal, was im Buchladen passiert, lesen muss das Kind das Buch am Ende selbst. Da kann ich nicht helfen und auch die Eltern nicht.
… Problem gelöst?
Ich habe keine Lösung. Wirklich nicht. Nur Ratschläge, die natürlich nicht bei jedem funktionieren.
- Führt eure Kinder schon von klein auf an Bücher heran
- Vorlesen ist wichtig. Unterschätzt das nicht. Selbst wenn die Kinder den Sinn des Textes noch nicht verstehen, sie verstehen den Zusammenhang zwischen Buch und Worte. Ihr Wortschatz wird anders sein als bei Kindern, denen nicht vorgelesen wird
- Geht mit gutem Beispiel voran
- LASST SIE LESEN, WAS SIE LESEN MÖCHTEN – Harry Potter mit 3 ist davon ausgenommen
Lesen – Lesen – Lesen
Mir persönlich ist es völlig egal, was die Kinder lesen. Egal ob es Sachbücher oder Romane sind – und bitte, auch Taschenbücher sind richtige Bücher – ob es Manga sind oder Comic oder ob sie jeden noch so kleinen Buchstaben auf Etiketten lesen.
LESEN ist hier das Zauberwort. Es ist ja nicht nur so, dass eine Geschichte gelesen wird. Lesen fördert den Wortschatz und die Ausdrucksweise genauso, wie das Verstehen von Texten. Das ist in jeder Lebenslage wichtig. Was bringt es, wenn ein Kind supergut in Mathe ist, aber nicht versteht, was es machen soll, wenn eine Textaufgabe zu lösen ist.
Den Sinn eines Textes zu verstehen, fällt vielen Kindern schwer.
Klar, es gibt Kinder, die haben Schwierigkeiten mit dem Lesen, aber auch hier gibt es spezielle Bücher, die helfen. Kinder brauchen Erfolgserlebnisse.
Wenn ich so ein kleines Lesemüffelchen in meiner Abteilung stehen habe, frage ich immer öfter, warum es nicht lesen mag. „Das ist alles doof. Ich versteh das nicht.“ ist meistens die Antwort.
Für mich bedeutet das, das Kind hat kein Problem mit dem Lesen an sich. Es versteht einfach nicht, was es da gelesen hat. Dass das Lesen dann keinen Spaß macht, versteht doch jeder.
Da müssen wir ansetzen. Hier sind die Eltern gefragt. Lasst euch doch von den Kiddies mal erzählen, was sie gerade gelesen haben. Worum geht es in der Geschichte? Was hat ihnen daran gefallen? Wen mochten sie am liebsten und warum?
Aber Vorsicht: Es könnte sein, dass das Buch dann in euren Händen landet. Wer sagt denn, Erwachsene dürfen keine Kinderbücher lesen. Steckt nicht in jedem von uns ein Kind?
Willkommen in der kunterbunten Welt des Lesens. Es muss nicht gleich in exzessives Lesen ausarten. Aber ab und zu ein Buch – das tut nicht weh.
Mh, ursprünglich war der Beitrag zum Thema Leseförderung geplant und entwickelte sich dann zu einem Plädoyer für das Lesen und – anscheinend – auch zur Aufforderung, mehr in den Buchladen zu gehen und seinem Buchhändler des Vertrauens einen Besuch abzustatten. Egal! Wisst ihr, was ich jetzt machen werde?
Ich nehme mir ein Buch und kuschle mich auf die Couch